Das größte Gesundheitsproblem ist die Überlastung

Krebsgefahr durch Nachtdienste – eine aktuelle Studie beunruhigt Pflegekräfte, die regelmäßig nachts arbeiten. Wird genug getan, um sie vor gesundheitlichen Folgen des Schichtdienstes zu schützen? Wir fragten nach bei Johanna Knüppel vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK).

Frau Knüppel, einer aktuellen Studie zufolge erhöhen längerfristige Nachtdienste bei Pflegerinnen das Risiko, an Krebs zu erkranken. Wie ordnen Sie diese Ergebnisse ein?

Ein erhöhtes Brustkrebsrisiko ist für Frauen mit Nachtschichten schon seit Jahren im Gespräch. Allerdings waren die Studien aus Dänemark, die das vermeintlich belegten, methodisch umstritten und die Aussage wissenschaftlich nicht haltbar. Auch die jetzt bekannt gewordenen Ergebnisse eines internationalen Review zeigen erhebliche Schwächen.  Es ist die Rede von einem erhöhten Risiko, an Krebs der Brust, der Lunge, des Gastrointestinaltrakts oder der Haut zu erkranken. Man sucht aber vergeblich nach Aussagen, ob die Erkrankten zum Beispiel Raucherinnen waren, wie sie sich ernährten, welches Freizeitverhalten sie hatten, wie lange und wie intensiv sie Nachtschichten geleistet hatten bis zur Erkrankung.

Welche Faktoren lösen tatsächlich all diese Krebsarten aus und gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang mit Nachtschichten? Hier wären weitere Fragen zu stellen wie: Sind Menschen, die Nachtschichten leisten, stärkere Raucher? Ernähren sie sich ungesünder und unregelmäßiger als Personen ohne Nachtarbeit? Die Empfehlungen für eine möglichst risikoarme Gestaltung von Nachtdiensten sind alle lange bekannt: nur wenige hintereinander, ein vorwärts rotierender verlässlicher Dienstplan, im Anschluss genügend ungestörtes Frei, damit die Umstellung gut gelingt und so weiter. Die gelten jetzt natürlich erst recht.

Schichtdienste sind in der Pflege unvermeidbar. Wird genug getan, um die Mitarbeiter vor negativen gesundheitlichen Auswirkungen zu schützen?

Die negativen gesundheitlichen Auswirkungen bei Beschäftigten im Nachtdienst resultieren vor allem aus der hohen Arbeitsverdichtung. Die Nachtdienststudien der Pflegewissenschaftler aus Witten-Herdecke und die Erhebung von Verdi haben sowohl für die Krankenhäuser wie für die stationäre Altenhilfe katastrophale Personalschlüssel im Nachtdienst ergeben. Mehr als 50 und zum großen Teil schwer pflegebedürftige Bewohner muss die Nachtwache in vielen Häusern betreuen. In der Regel gibt es keine Ablösung, um die gesetzliche Pause nehmen zu können. Allein das ist gesetzwidrig. Gravierende Versorgungsmängel bleiben da nicht aus, ganz zu schweigen von den berufsbedingten Erkrankungen der Pflegenden, die durch schweres Heben und Tragen, Umlagern ohne Hilfe, ständigen Zeitdruck im Nacken und die übergroße Verantwortung für so viele Menschen ausgelöst werden. Nein, nach meiner Meinung wird bei weitem nicht genug getan, um beruflich Pflegende vor gesundheitlichen Schäden zu schützen.

Wie können die Arbeitgeber für bessere und gesündere Arbeitsbedingungen in der Pflege sorgen?

Für jeden Arbeitsplatz, gerade in der Pflege, sind Gefährdungsanalysen zwingend vorgeschrieben. Hier sollen nicht nur physische Gefährdungen, sondern auch Risiken für psychische Erkrankungen erfasst, dokumentiert und entsprechend gesundheitsfördernde Maßnahmen abgeleitet werden. Allerdings: die wenigsten Betriebe halten sich daran. Die Verpflichtung zur Gefährdungsanalyse wird flächendeckend ignoriert – und bisher überprüfen das die Unfallkassen und Berufsgenossenschaften leider auch kaum, von Sanktionen ganz zu schweigen. In Gesundheitsschutz der Beschäftigten, gesundheitsfördernde Arbeitsplatzgestaltung, Ergonomie, Prävention … wird bisher in der Pflege in Deutschland viel zu wenig investiert. Und wenn doch, dann häufig an den Beschäftigten und deren Bedürfnissen vorbei. Die hohen Krankheitsraten und die Tatsache, dass in der Pflege kaum jemand ein reguläres Rentenalter erreicht, sollten alle Alarmglocken klingeln lassen. Der Pflegefachkräftemangel hat eben auch damit zu tun und vor diesem Hintergrund sind die Prognosen für die Zukunft der Pflege dramatisch.

Sind die Rahmenbedingungen dafür gegeben oder wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Eigentlich müssten Arbeitgeber wissen, dass jeder Cent, der in Mitarbeiter und deren Gesundheit investiert wird, sich schnell und vielfach auszahlt. Ökonomen haben das wiederholt ausgerechnet, eine bessere Rendite gibt es nicht. Für die Pflege gilt: Wenn nicht sehr, sehr bald für wirklich spürbare, erheblich entlastende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gesorgt wird, kann das Ruder nicht mehr herumgerissen werden. Pflege als Beruf ist für den potenziellen Berufsnachwuchs so unattraktiv geworden, dass immer weniger junge Menschen dort einmünden. Der hohe Altersdurchschnitt in den Pflegeberufen ist ein großes Risiko für die Versorgungssicherheit. In wenigen Jahren steht uns eine  große Verrentungswelle bevor. Was dann? Es führt kein Weg daran vorbei, alles dafür zu tun, damit Pflegefachpersonen so motiviert, engagiert, gesund und so lange wie irgend möglich in ihrem Beruf arbeiten können. Hierzu haben viele  Arbeitgeber wie auch die politisch Verantwortlichen ihre Hausaufgaben längst nicht gemacht!

 Mit Johanna Knüppel sprach Nicoletta Eckardt

Pflege­versicherung Meldung

 Pflege­versicherung:                             Das ändert sich ab 2017

Die Pflege­versicherung soll von Grund auf erneuert werden. Gesund­heits­minister Hermann Gröhe hat den Entwurf zu einem neuen Gesetz vorgelegt, das Menschen mit Demenz ab 2017 einen besseren Zugang als bisher zur Pflege ermöglichen soll. Das Pfle­gestärkungs­gesetz II definiert neu, wer Pflege braucht, und legt ein neues Begut­achtungs­verfahren fest. test.de beant­wortet die wichtigsten Fragen zum Thema. Drei Tabellen zeigen, was sich für die Pflege zu Hause und im Pfle­geheim ändert.

Aus drei Pfle­gestufen werden fünf Pfle­gegrade

Alles deutet darauf hin, dass ab 2017 auf das neue Begut­achtungs­system umge­stellt wird, und es künftig fünf Pfle­gegrade statt bisher drei Pfle­gestufen geben wird. Im Gesetz wird nun das umge­setzt, was seit fast zehn Jahren bereits angedacht und über­prüft wurde – die Erweiterung des Begriffs der Pflegebedürftig­keit und somit die Gleichbe­hand­lung von geistigen und körperlichen Einschränkungen. Im August 2015 soll der Gesetz­entwurf vom Bundes­kabinett beschlossen werden. Anschließend gibt der Gesund­heits­ausschuss seine Beschluss­empfehlungen ab. Verabschiedet wird es voraus­sicht­lich im November. Zum 1. Januar 2016 soll es in Kraft treten. Die Umstellung von Pfle­gestufen zu Pfle­gegraden ist für den 1. Januar 2017 vorgesehen.

Warum ist eine Umstellung notwendig?

Die Pflege­versicherung hatte bei ihrer Einführung vor 20 Jahren vor allem Menschen mit körperlichen Einschränkungen im Blick. Entscheidend war, wie mobil ein Pflegebedürftiger noch ist, und ob er sich selbst anziehen und ernähren kann. Im Laufe der Jahre hat sich diese Betrachtungs­weise jedoch als nicht ausreichend heraus­gestellt. Menschen mit Demenz sind zwar oft körperlich noch in der Lage, bestimmte Dinge zu tun, haben aber vergessen, wie die einzelnen Hand­lungs­schritte ausgeführt werden. Meist brauchen sie daher rund um die Uhr Anleitung und Betreuung durch andere. Das neue Verfahren zur Begut­achtung schließt nun geistige und psychische Beein­trächtigungen mit ein. In Zukunft soll es keine Rolle mehr spielen, ob körperliche oder geistige Gebrechen zur Pflegebedürftig­keit führen.

Was sich konkret ändert

Ich bin pflegebedürftig, was ändert sich durch das neue Gesetz für mich?

Anstelle der drei Pfle­gestufen soll es ab 2017 fünf Pfle­gegrade geben. Wichtig bei der Einstufung wird künftig sein, wie selbst­ständig der Versicherte noch ist – das heißt, ob er oder sie auf die Unterstüt­zung von anderen angewiesen ist. Mit dem neuen Verfahren fällt auch das Zählen von Minuten, die zur Pflege nötig sind, durch den Gutachter weg.

Wie läuft die Begut­achtung nach dem neuen Verfahren ab?

Das Maß für die Einschät­zung von Pflegebedürftig­keit soll zukünftig der Grad der Selbst­ständig­keit eines Menschen sein – also wie selbst­ständig er ohne Hilfe und Unterstüt­zung von anderen sein Leben führen kann. Hierfür gibt der Gutachter seine Einschät­zung ab. Sechs Lebens­bereiche sind dabei von Bedeutung.

  • Mobilität
  • geistige und kommunikative Fähig­keiten
  • Verhalten
  • Selbst­versorgung
  • Umgang mit Erkrankungen und Belastungen
  • soziale Kontakte.

In jedem Bereich werden je nach Stärke der Beein­trächtigung Punkte vergeben, die am Ende zusammengezählt werden. Die Gesamt­punkt­zahl entscheidet über den Pfle­gegrad. Bei der bisherigen Einstufung in Pfle­gestufen wird nur der Hilfebedarf bei Körper­pflege, Ernährung, Mobilität und haus­wirt­schaftlicher Versorgung erfasst.

Muss ich Angst vor einer Schlechter­stellung haben?

Nein. In der Phase der Umstellung wird niemand schlechter gestellt. Bestehende Pfle­gestufen werden in entsprechende Pfle­gegrade umge­wandelt. Ein Versicherter in Pfle­gestufe I mit Demenz, der zuhause gepflegt wird, wechselt dann in Pfle­gegrad 3. Finanziell heißt das, dass er statt bisher 316 Euro ab 2017 545 Euro im Monat bekommt.

Pflege zuhause ab 2017

Für die Pflege zuhause gibt es Pflegegeld für Angehörige und Hilfe von Profikräften. Künftig soll es Pfle­gegrade statt Pfle­gestufen geben. Pfle­gegrad 1 kommt neu hinzu.

Aktuell

Ab 2017

Pfle­gestufe

Monatliche Leistungen ... (Euro)

Pfle­gegrad

Monatliche Leistungen ... (Euro)

Pflegegeld

Pflege­dienst

Pflegegeld

Pflege­dienst

Ohne Demenz

I

244

468

2

316

689

II

458

1 144

3

545

1 298

III

728

1 612

4

728

1 612

Mit Demenz

0

123

  231

2

316

  689

I

316

  689

3

545

1 298

II

545

1 298

4

728

1 612

III

728

1 612

5

901

1 995

Härtefall1

1 995

5

901

1 995

  • 1 Der Härtefall deckt die Pflege mit außergewöhnlich hohem Pfle­geaufwand mit und ohne Demenz ab.

Pflege im Heim ab 2017

Auch bei der Pflege im Heim gibt es außer in Pfle­gestufe I und II ohne Demenz mehr Geld. Pflegebedürftige mit dieser Einstufung haben jedoch Bestands­schutz. Das heißt, sie bekommen auch zukünftig denselben Betrag von der Pflegekasse, den sie bisher in ihrer Pfle­gestufe erhalten haben. Erst bei einem Antrag auf Höher­stufung von Pflege­leistungen wird nach den neuen Regeln begut­achtet und einge­stuft. Zudem soll der Eigen­anteil von Heimbe­wohnern unabhängig von der Pfle­gestufe bei 580 Euro fest­geschrieben werden. Im Moment steigt mit Höhe der Pfle­gestufe meist auch der Eigen­anteil, den das Heim vom Bewohner verlangt.

Aktuell

Ab 2017

Pfle­gestufe

Monatliche Leistungen … (Euro)im Pfle­geheim

Pfle­gegrad

Monatliche Leistungen … (Euro)im Pflegheim

Ohne Demenz

I

1064

2

770

II

1330

3

1262

III

1612

4

1775

Mit Demenz

0

2

770

I

1064

3

1262

II

1330

4

1775

III

1612

5

2005

Härtefall1

1995

5

2005

  • 1 Der Härtefall deckt die Pflege mit außergewöhnlich hohem Pfle­geaufwand mit und ohne Demenz ab.

Künftig einheitlicher Entlastungs­betrag

Wird aus Pfle­gestufe 0 auto­matisch Pfle­gegrad 1?

Nein. Pfle­gegrad 1 kommt ganz neu hinzu. Er steht Versicherten zu, die oft im geringen Maß körperlich einge­schränkt sind. Die Leistungen der Pflege­versicherung sind dafür gedacht, dass ein Mensch noch möglichst lange zuhause wohnen kann. Zu den Leistungen gehören eine Pflegeberatung in den eigenen vier Wänden, Hilfs­mittel zur Pflege, sowie Zuschüsse für den barrierefreien Umbau der Wohnung (4 000 Euro pro Maßnahme) und das Wohnen in einer betreuten Wohn­gruppe (205 Euro monatlich). Wählt der Versicherte doch das Heim, steht ihm in Pfle­gegrad 1 ein Zuschuss von 125 Euro zu.

Was ist mit anderen Leistungen wie den zusätzlichen Betreuungs­leistungen und auch der Verhinderungs­pflege. Ändert sich hier etwas für mich?

Bisherige Leistungen der Pflege­versicherung wie das Recht auf Pflegeberatung, Zuschüsse für barrierefreien Umbau oder Hilfs­mittel für die Pflege wird es weiterhin geben. Für 4 Wochen Kurz­zeit­pflege in einer Pfle­geeinrichtung oder die Ersatz­pflege bei der Vertretung des pflegenden Angehörigen gibt es 1 612 Euro im Jahr. Beide Leistungen können auch weiterhin kombiniert werden.

Statt der zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungs­leistungen in Höhe von 104 Euro für alle Pflegebedürftigen und 208 Euro für Pflegebedürftige mit einer stark ausgeprägten Demenz soll es ab 2017 einen einheitlichen Entlastungs­betrag in Höhe von 125 Euro geben. Das Geld gibt es zum Beispiel, wenn ein Pflege­dienst vorliest oder mit spazieren geht. Auch kann es für die Tages­pflege, die Kurz­zeit­pflege und Betreuungs­angebote verschiedener Dienste genutzt werden.

Tages- und Nacht­pflege ab 2017

Die Leistungen der Tages­pflege erhöhen sich. In Pfle­gegrad 2 soll es ab 2017 698 Euro statt bisher 231 Euro in Pfle­gestufe 0 geben.

Aktuell

Ab 2017

Pfle­gestufe

Monatliche Leistungen ... (Euro)

Pfle­gegrad

Monatliche Leistungen...(Euro)

Mit und ohne Demenz

0

231

2

689

I

689

3

1 298

II

1 298

4

1 612

III

1 612

5

1 995

Was die Reform kostet

Schon Anfang des Jahres sind zahlreiche Leistungs­verbesserungen in Kraft getreten. Der Beitrag stieg um 0,3 Prozent auf 2,35 Prozent und für Kinder­lose auf 2,6 Prozent. Für 2017 ist eine weitere Steigerung um 0,2 Prozent­punkte auf 2,55 Prozent geplant, Kinder­lose zahlen dann 2,8 Prozent. 5 Milliarden nimmt die Pflege­versicherung so zusätzlich zur Finanzierung der Umstellung ein.

Finanztest-Spezial Pflege

Das Finanztest-Spezial Pflege zeigt, wie sich jeder auf eine Pflegesituation vorbereiten kann und was zu tun ist, wenn sie eintritt. Das Heft hat 112 Seiten und ist für 8,50 Euro im test.de-Shop erhältlich (6,50 Euro als PDF-Download). Es bietet Orientierung über die derzeitigen staatlichen Hilfen bei der Pflege von Angehörige und zeigt, wie man recht­lich und finanziell vernünftig vorsorgt (Stand 2015).


Wenn Alzheimer-Kranke in Thailand Pflege finden

Eine exotische Form der Betreuung von Alzheimer-Patienten wird beliebter: die Pflege fernab der Heimat – beispielsweise in Thailand. Das ist günstiger, doch es beunruhigt auch die Experten. Von Denis D. Gray

 Elisabeth (links) stammt aus der Schweiz. Sie leidet an Alzheimer und wird in der thailändischen Einrichtung Baan Kamlangchay gepflegt. In einem ehemaligen Vier-Sterne-Resort leben die Bewohner in einzelnen Häusern
Foto: AP Elisabeth (links) stammt aus der Schweiz. Sie leidet an Alzheimer und wird in der thailändischen Einrichtung Baan Kamlangchay gepflegt. In einem ehemaligen Vier-Sterne-Resort leben die Bewohner in einzelnen Häusern

Lautes Lachen dringt aus dem Swimmingpool, vermischt mit den Klängen von Windspielen. Eine Gruppe von Senioren spielt mit einem gelben Ball, ihre Betreuer machen mit. Susanna Kuratli, einst eine erfolgreiche Malerin, schwimmt eine Runde, mit einem Lächeln im Gesicht. Ehemann Ulrich schaut ihr zu. Bald wird er eine sehr schwere Entscheidung treffen müssen: ob er seine Frau, mit der er 41 Jahre lang verheiratet ist, hier zurücklässt, 9000 Kilometer von daheim, oder ob er sie zurück nach Hause bringt, in die Schweiz.

Die 65-jährige Susanna Kuratli leidet an Alzheimer und würde sicher in ihrer Heimat gut versorgt. Aber ihr Ehemann meint, dass hier, in der Einrichtung Baan Kamlangchay ("Heim für Pflege, die von Herzen kommt") im nördlichen Thailand, die Betreuung nicht nur weniger teuer ist, sondern auch persönlicher als daheim in der Schweiz.

Die Patienten leben in einzelnen Häusern innerhalb einer Gemeinde, werden zu örtlichen Märkten, Restaurants und Tempeln gebracht und erhalten rund um die Uhr persönliche Pflege. Die monatlichen Kosten von umgerechnet knapp 2800 Euro sind ein Drittel der Summe, die Susanna Kuratlis Betreuung in einem durchschnittlichen Heim in der Schweiz verschlingen würde.

Pflege fernab der Heimat ist günstiger

Kuratli hat sich sechs Monate Zeit für die Entscheidung gegeben, während er an der Seite seiner Frau in Baan Kamlangchay lebt. Zurzeit neigt er dazu, Susanna in Thailand zu lassen. "Manchmal bin ich eifersüchtig", sagt er. "Wenn ich meiner Frau die Hand reiche, nimmt sie sie nicht, aber wenn ihre Pflegekraft ihre Hand nimmt, bleibt sie ruhig. Sie scheint glücklich zu sein. Wenn sie mich sieht, fängt sie an zu weinen. Vielleicht erinnert sie sich daran, wie es einmal war und versteht es, aber kann es nicht mehr in Worten ausdrücken."

Kuratlis Situation ist kein Einzelfall. Zunehmend viele Menschen in westlichen Nationen stecken in einem ähnlichen Dilemma. Die Zahl der Alzheimer-Patienten wächst, die Kosten für die Betreuung steigen, das Angebot an qualifizierten Pflegekräften und Einrichtungen hält kaum Schritt mit der Entwicklung. Länder in weiter Ferne bieten oft kostengünstigere und – so meinen jedenfalls manche – bessere Betreuung.

Der entstehende Trend beunruhigt einige Experten, die meinen, dass die Entwurzelung den Alzheimer-Kranken schadet, etwa Angstzustände erhöht. Andere kontern mit dem Argument, dass die Qualität der Pflege wichtiger sei als der Ort.

Patienten aus Osteuropa und Griechenland

Generell herrscht ein gewisses Unbehagen über die Idee, kranke ältere Menschen weit wegzuschicken. Aber es kommt immer häufiger vor, auch in Deutschland. Mehrere Tausend Alzheimer-Patienten, aber auch Senioren mit anderen Krankheiten, sind bereits von hier aus nach Osteuropa, Spanien, Griechenland und die Ukraine gebracht worden.

Zu den Anbietern billigerer Pflege gehören Einrichtungen auf den Philippinen. Ungefähr 100 Amerikaner suchten hier zurzeit einen Betreuungsplatz, schildert J.J. Reyes, der eine Senioren-Gemeinde nahe Manila plant. Auch Einrichtungen in Thailand bereiten sich auf die Aufnahme weiterer Alzheimer-Patienten vor. In Chiang Mai etwa, einer netten von Bergen umgebenen Stadt, soll Mitte des Jahres ein zweites Heim im Stil eines Feriendomizils eröffnet werden.

Nach Angaben der britischen Organisation Alzheimer's Disease International gibt es weltweit mehr als 44 Millionen Menschen, die unter dieser Krankheit leiden. Es sei zu erwarten, dass diese Zahl bis 2050 auf 135 Millionen wächst.

Bezahlen aus eigener Tasche

Betreuung im Ausland ist in der Regel nicht von Krankenversicherungen abgedeckt – das heißt, sie muss aus eigener Tasche bezahlt werden. In der Schweiz würde die staatliche Versicherung für zwei Drittel der Pflege von Susanna Kuratli aufkommen. Aber da Privatkliniken mit Spitzenbetreuung dort umgerechnet 11.000 Euro monatlich oder sogar noch mehr kosten würden, könnte Ulrich Kuratli es in Thailand finanziell günstiger haben.

Baan Kamlangchay wurde vom Schweizer Martin Woodtli gegründet. Er hatte als Mitglied der Gruppe Ärzte ohne Grenzen vier Jahre in Thailand verbracht und kehrte dann in seine Heimat zurück, um sich um seine an Alzheimer erkrankte Mutter zu kümmern. Er brachte sie nach Chang Mai, wo sie der erste "Gast" in der Pflegeeinrichtung wurde. Woodtli nimmt das Wort "Patient" nie in den Mund.

Im Laufe der nächsten zehn Jahre kaufte oder mietete der Psychologe und Sozialarbeiter acht Häuser, in denen derzeit 13 Patienten aus der Schweiz und Deutschland wohnen. Fast jeden Nachmittag versammelt sich die Gruppe in einem privaten Park zum Schwimmen, Essen und Ausruhen auf Sonnenliegen. Dazu gibt es regelmäßig Ausflüge in die Umgebung.

Singen alter Lieblingslieder

Sabine Jansen von der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft sagt, dass die Anpassung an einen fremden Ort für die meisten Erkrankten schwer sei, weil sie in einer Welt mit Erinnerungen an früher lebten. "Sie haben an ihren eigenen Wohnplätzen und in ihren eigenen Gemeinden eine bessere Orientierung. Freunde, Familienangehörige und Nachbarn können sie besuchen. Auch wegen der Sprache und aus kulturellen Gründen ist es für die meisten am besten, in ihrem Heimatland zu bleiben."

Manfred Schlaupitz gehört zu den "Gästen" in Baan Kamlanggchay. Er sitzt zurückgelehnt in einem Liegestuhl, seine Pflegerin massiert vorsichtig seine Beine. Wie eine Reihe anderer Alzheimer-Patienten reagiert Schlaupitz auf Musik. Manchmal singen sie zusammen eines seiner Lieblingslieder: "Yesterday".

AP


500.000 Vollzeitkräfte werden fehlen – die Bertelsmann Stiftung prognostiziert eine dramatische Versorgungslücke. In Rheinland-Pfalz gerät Malu Dreyer in die Kritik.

Wer pflegt uns, wenn wir alt sind? (Foto: Gerd Altmann/pixelio.de)

Die Versorgungslücke in der Pflege wird bis zum Jahr 2030 vor allem in den Kommunen für große Herausforderungen sorgen. Während die Zahl der Pflegebedürftigen um rund 50 Prozent zunehmen wird, werden nach heutigen Berechnungen ohne grundlegende Weichenstellungen rund eine halbe Millionen Stellen für Vollzeitkräfte in der Pflege unbesetzt bleiben. Dies prognostiziert der neue „Pflegereport 2030“ der Bertelsmann Stiftung.

Auf Basis der Bevölkerungsvorausberechnung sowie der Pflegestatistik 2009 des Statistischen Bundesamtes führte Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen die Studie durch.

Waren im Dezember 2009 in Deutschland 2,34 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne der Pflegeversicherung, wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen laut der Bertelsmann-Studie bis ins Jahr 2030 auf 3,4 Millionen und bis 2050 sogar auf 4,5 Millionen erhöhen.

Große regionale Unterschiede

Allerdings stellt sich die Situation für die einzelnen Bundesländer und vor allem auf kommunaler Ebene sehr unterschiedlich dar. So weisen die Modellrechnungen für den Stadtstaat Bremen im Zeitraum von 2009 bis 2030 ein Wachstum der Zahl der Pflegebedürftigen von 28 Prozent aus, während die Wachstumsrate für Mecklenburg-Vorpommern mit 56 Prozent annähernd doppelt und für Brandenburg mit 72 Prozent sogar mehr als 2,5-mal so hoch ist.

Im Vergleich zum bundesweiten Anstieg der Fallzahlen von durchschnittlich 47 Prozent zeigen sich auch für Berlin (56 Prozent), Bayern (54 Prozent), Schleswig-Holstein (54 Prozent) und Baden-Württemberg (54 Prozent) erhebliche Steigerungsraten.

Auf der kommunalen Ebene sind die Unterschiede sogar noch stärker ausgeprägt: Hier reichen die Steigerungsraten von knapp 14 Prozent (Landkreis Goslar) bis zu mehr als 100 Prozent (Landkreis München, Landkreis Oberhavel), wobei die Dynamik fast ausschließlich von der Altersstruktur in der jeweiligen Kommune abhängt.

Unter www.wegweiser-kommune.de stehen Informationen darüber zur Verfügung, wie es um die Pflegesituation in jedem Kreis beziehungsweise jeder kreisfreien Stadt bestellt ist.

wegweiser-kommune.de bietet regionale Daten

Das Problem ist längst bekannt

„Der drohende Pflegenotstand ist längst bekannt; die Reaktionen reichen jedoch von schlichter Panikmache bis hin zur Vogel-Strauß-Haltung. Wir wollen weder das eine noch das andere, sondern mit dem Pflegereport Bevölkerung und Politik auf die vor uns liegende Wegstrecke für eine nachhaltige und sozial gerechte Bewältigung der künftigen Pflegebedarfe vorbereiten“, sagte Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, bei der Vorstellung des Pflegereports in Berlin.

Zukünftig werden die notwendigen Leistungen in der Pflege von professionellen Kräften allein nicht zu erbringen sein. Daher ist es notwendig, bei der Verwirklichung bedarfsgerechter Pflegekonzepte auf die Vernetzung aller verantwortlichen Personen und Institutionen zu achten, von der Stadtplanung über Wohnungsbaugesellschaften, Pflegekassen bis hin zu Leistungsanbietern.

Plädoyer für „Reha vor Pflege“

„Den Grundsätzen ‚Rehabilitation vor Pflege‘ und ,ambulant vor stationär‘ muss auf allen Ebenen Geltung verschafft werden. Wir brauchen darüber hinaus eine Mobilisierung der Zivilgesellschaft, um die Chancen des längeren und gesünderen Lebens für die Bewältigung der demographischen Risiken zu nutzen“, so Mohn weiter. „Darum wollen wir Entscheidungsträger auf Bundes-, Landes-, aber vor allem auf kommunaler Ebene ermutigen, den Kopf auch bei düsteren Prognosen nicht in den Sand zu stecken, sondern die Zeit bis 2030 zu nutzen, um dem Pflegenotstand in der eigenen Region zu begegnen.“

Malu Dreyer (Foto: Torsten Silz/dapd)

Den Kommunen kommt hierbei eine maßgebliche Rolle für die Prozess- und Angebotskoordinierung zu. Unabdingbare Voraussetzung ist daher eine Umsteuerung und Bündelung der entsprechenden Finanzquellen, um es den Kommunen zu ermöglichen, eine entsprechende Unterstützungs- und Vernetzungsstruktur aufzubauen und dauerhaft zu unterhalten.

Malu Dreyer wird attackiert

Am schnellsten auf die Bertelsmann-Studie reagierte die CDU in Mainz. Sie attackierte die Sozialministerin Malu Dreyer (SPD). Die rot-grüne Landesregierung ist nach Ansicht der Opposition für den „Pflegenotstand“ in Rheinland-Pfalz mit verantwortlich. Dreyer (die Deutschlands erste Ministerpräsidentin mit Multiple Sklerose sein wird), verharmlose aktuelle Probleme und trage selbst zu einer Verschärfung der Situation bei, sagte die sozialpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Hedi Thelen, heute in Mainz. Seit Jahren handele die Landesregierung Pflegesätze aus, die unter der tariflich vereinbarten Steigerung der Personalkosten lägen. So könne nicht kostendeckend gearbeitet werden.

(Bertelsmann Stiftung/dapd/RP)